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Die Denkzettel-Verschwörung bei der Kanzler-Wahl

Mai 2025

Halten wir noch einmal fest: Es verweigern 18 Abgeordnete Friedrich Merz die Gefolgschaft. Daraufhin drängt Schwarz-Rot auf schnellstmögliche Wiederholung der Kanzlerwahl. Im zweiten Wahlgang schrumpft plötzlich die Zahl der Abtrünnigen von 18 auf 3.

Wie kann man sich einen derartigen Vorgang im Detail erklären? Viele tun gerade so, als ob die schnelle Wahlwiederholung den Sieg von Merz gerettet hätte, obwohl das Gegenteil viel näher läge - nämlich, dass die sofortige Wiederholung das gleiche oder gar ein schlimmeres Ergebnis ergeben hätte.

Ich gehe in meinem Gedankenspiel zunächst davon aus, dass es sich bei den Abweichlern in Runde 1 nicht um eine Verschwörung handelte, sondern um "Einzeltäter". Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass sich 18 der 328 schwarz-roten Abgeordneten aus völlig unterschiedlichen Gründen unabhängig voneinander entschieden haben, mit Nein zu stimmen. Jeder einzelne von ihnen könnte nach der Verkündung des Ergebnisses selbst überrascht gewesen sein, dass die Zahl der "Verräter" insgesamt doch so groß war, dass Merz durchfiel.
Das wäre der einzige vernünftige Erklärungsansatz, warum dann 15 von ihnen im zweiten Wahlgang einen Rückzieher machten. Sie wollten im ersten Wahlgang ihrem Gewissen einen Gefallen und Herrn Merz einen Denkzettel erteilen, aber nicht gleich eine Staatskrise auslösen. Den meisten Zuschauern reicht das offenbar auch schon als Erklärung. Mir nicht.
Denn die Frage ist, ob die Fraktionen bzw. deren Chefs nach dem ersten Wahlgang felsenfest davon ausgehen konnten, dass hier 18 einzelne Abweichler die Zahl der anderen Abweichler und damit die Tragweite falsch eingeschätzt haben und sich demnach heimlich still und leise im nächsten Wahlgang umentscheiden werden. Nein. Woher sollten sie das wissen? Es sei denn, die erschrockenen Sündigen hätten sofort offene Beichte abgegeben. Schwer vorstellbar.

Deswegen ist es seltsam, dass die beiden Fraktionen auf Wahlwiederholung am gleichen Tag drängten und dafür sogar die Linken um Zustimmung baten. Mindestens genau so gut hätte man davon ausgehen müssen, dass es sich um 18 maskierte, hartgesottene "Merz-Attentäter" oder Putschisten handeln könnte, die ihr Werk in Runde 2 mit der politischen Erledigung des Friedrich Merz und dem Fiasko für die Groko krönen würden. Man ist doch sonst immer so paranoid, wenn es um Infiltrationen und Manipulationen Putins, Trumps oder der Faschisten geht. Warum nicht so eine Vermutung?
Es musste doch klar sein, dass die Täter nicht von Pappe sind, wenn sie bewusst in Kauf nehmen, nach der Abstimmung unter den Druck der Verhöre und Verdächtigungen zu geraten. Selbst dann, wenn nur ein einziger von den "Probeabstimmungen" abgewichen wäre. SPD und CDU hätten sogar befürchten müssen, dass im zweiten Wahlgang weitere Abgeordnete überlaufen, etwa weil sie vorher mit der Faust in der Tasche für Merz gestimmt haben.

Also ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass man so schnell und entschlossen in ein potentiell offenes Messer namens zweiter Wahlgang gerannt wäre.

Man kann daher vermuten, dass es einen Plan B gab. Der Plan B hätte dann notwendigerweise aus einer Stimmenbeschaffung von Dritten bestanden. Unter 300 Abgeordneten, die man zum Teil seit Jahren kennt, mit denen man regiert hat usw. bräuchte man ein paar, die einem einen solch billigen Gefallen tun - noch dazu im Namen des Staatswohls. Da muss nicht einmal Bestechung im Spiel sein, Freundschaft würde reichen.
Doch diese These hat einen Pferdefuß: Die Zahl besorgter Stimmen darf nicht zu groß und nicht zu klein sein. Woher hätte man vor dem 6.Mai die Zahl der geheimen Abweichler wissen sollen, ohne die Abweichler zu kennen und zu stellen? Wenn man zu viele Stimmen im Vorfeld "gekauft" hätte, wäre offenbar geworden, dass mit der Opposition geklüngelt wurde. Man hätte dann gar Anlass zu der Vermutung, dass Merz mit Stimmen der AfD gewählt worden ist.
Es liegt daher nahe, dass Stimmen allenfalls erst nach dem verpatzten ersten Wahlgang organisiert wurden. Doch auch dabei würde sich die schwierige Frage stellen, wieviele Stimmen man denn genau braucht, um das falsche Spiel nicht zu verraten. Man wusste in dem Moment ja auch nicht, wer von den Abweichlern sich in Runde 2 doch noch anders entscheidet.
Und wie gesagt, die Fraktionen mussten davon ausgehen, dass es die von mir bisher ausgeschlossene Variante gibt: die Denkzettel-Verschwörung.

Die Denkzettel-Verschwörer wollten den Vorfall genau so geschehen lassen: Schlappe im ersten Durchgang, aber keine Kanzlerverhinderung im zweiten. Problem dabei wiederum: Wie können die Verschwörer ausschließen, dass sich Merz nicht gleich nach dem ersten Wahlgang zurück zieht? Woher hätte Merz wissen sollen, dass es ja nur ein Denkzettel sein soll?

Oder hat sich Friedrich Merz selber einen schlechten Start besorgt, um nun entgegen aller Erwartungen nur noch besser zu werden? Wozu? Der Start wäre auch ohne diese Blamage denkbar schlecht gewesen.
Für eine Denkzettel-Verschwörung gibt es nur zwei Varianten: Entweder will innerhalb der CDU ein Flügel Merz schwächen oder innerhalb der SPD ein Flügel gegenüber Lars Klingbeil Macht demonstrieren oder Rache für seine Personalentscheidungen üben.

Ich tendiere zum CDU-Streich. Das Ziel der Denkzettel-Verschwörung kann nur erreicht werden, wenn höchste Entscheider involviert sind, die den Fortgang der Dinge an diesem Tag beeinflussen können und in sämtliche Strategien eingeweiht sind, die ein mögliches Scheitern in der ersten Runde betrifft.
Klingbeil aber kann kein Mitwisser einer gegen ihn gerichteten Verschwörung sein.
Spahn oder auch Linnemann hingegen sind in die strategische Planung involviert und würden mittelfristig von einem angezählten Merz profitieren, weil sie vermutlich selber nicht an die große Wende mit Schwarz-Rot glauben. Sie hätten ihren Plan vor Merz geheim halten können, konnten ihn alt aussehen lassen und haben dann auf offener Bühne die gnadenvolle Rettung in letzter Not organisiert.
Na ja, spätestens wenn Merz in der Zukunft unrühmlich abgeht und Spahn oder Linnemann die Thronfolger werden, kann man sich mit diesem Szenario noch mal näher beschäftigen.

Und dann gibt es da ja noch die Altkanzlerin Merkel. Hat sie vielleicht ihre Getreuen aktiviert, um ein kleines Antrittsgeschenk für den nun gegen ihren Willen endlich Kanzler gewordenen Merz zu übergeben? Will sie die Siegerin bleiben? Das war mein erster Gedanke, als ich nach dem gescheiterten ersten Wahlgang von ihrer Anwesenheit gehört habe.

Am Ende aber war es vermutlich wie immer so, dass die Akteure viel weniger nachgedacht haben als wir es jetzt tun. Die wollten vielleicht einfach nur Feierabend haben. Das würde zumindest zu der gesamtgesellschaftlichen Situation passen, in die sie uns seit Jahren hinein manövriert haben.

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